SA: Johann Ulrich, avant-verlag Berlin, stell Dich und Deinen Verlag bitte selbst vor:
J: Der Berliner avant-verlag hat sich zum Ziel gesetzt, künstlerisch besonders anspruchsvolle Comics & grafische Literatur unserer europäischen Nachbarländer ins Deutsche zu übertragen. Darüber hinaus publizieren wir selbstverständlich auch einheimische Künstler. In Zukunft sogar verstärkt. Für 2009 sind vier neue Titel von deutschen Autoren in Planung!
Seit 2001 produziert der Avant-Verlag seine Titel und in dieser Zeit ist es gelungen den Verlag und seine Programmauswahl als hochwertige Ergänzung der hiesigen Verlagslandschaft zu etablieren. Zahlreiche Auszeichnungen und Preise wie z. B. „Bester Comic“ auf der Frankfurter Buchmesse, „Max und Moritz-Preis“ für „Bestes Szenario“ und „Bester Titel Import“, eine Nominierung für den "Jugendliteraturpreis" sowie der „ICOM-Preis“ sind ein Beleg für die Qualität unserer Bücher.
SA: Wie seit ihr organisiert?
J: Die geschäftlichen Entscheidungen, sowie die Programmplanung liegen in meinen Händen. Natürlich wäre das alles nicht zu bewältigen ohne die Hilfe von Freunden und freien Mitarbeitern für Übersetzung und Lettering, Redaktion, Pressearbeit, das gemeinsame Web-Portal "graphic-novel.info" etc.
SA: Was sind die Schwierigkeiten für einen kleinen unabhängigen Verlag wie Eurem gegen die großen zu bestehen?
J: Ich sehe da kaum eine Konkurrenz - im Gegenteil! Wir als Nischenverlag brauchen einen gesunden Mainstream, denn er generiert ja auch die Kunden die irgendwann auch unsere Bücher lesen werden. Wer als Kind z. B. nicht Asterix oder Tim und Struppi las wird auch als Erwachsener schwer Zugang zu Comics bzw. Graphic-Novels finden. Von der Titelauswahl gibt es gar nicht so viele Überschneidungen. Ich freue mich wenn auch bei den großen Verlagen mehr Qualität ins Programm Einzug hält, das ist durchaus positiv für den gesamten Markt. Ein Hauptunterschied besteht natürlich in den unterschiedlichen Vertriebsmöglichkeiten. Der Avant-Verlag kann leider keine Buchhandelsvertreter beschäftigen. Unsere Bücher landen zumeist nur in den Buchhandlungen wenn der Kunde dort danach fragt. Deshalb halte ich eine gute Pressearbeit für ein Erfolg versprechendes Mittel um unsere Bücher zu bewerben. Kampagnen oder Printanzeigen übersteigen leider oftmals unsere finanziellen Möglichkeiten. Wir punkten eher durch Ausstellungen unserer Künstler, Festivalpräsentationen und den Direktvertrieb über unsere Website.
SA: Ihr verlegt nicht nur Comics sondern auch graphische Literatur, worin bestehen die signifikanten Unterschiede zwischen diesen beiden Definitionen?
J: Wir unterscheiden zwischen den herkömmlichen Comics franz. Prägung, sprich dem Album. Gemeinhin 48 Seiten, vierfarbig als Soft- oder Hardcover. Und den Comic-Romanen, deren Umfang allein der Autor und seine Geschichte bestimmt. Hier steht das Werk und dessen Inhalt im Mittelpunkt und nicht in erster Linie die kommerziell leicht verwertbare Form. Wie in der Literatur nimmt sich die Geschichte den Platz den der Autor dafür braucht. Gepaart mit einer individuellen Graphik sprechen wir hier von graphischer Literatur. Serien spielen hierbei keine bzw. eine untergeordnete Rolle.
SA: Offensichtlich versucht Ihr eine Verbindung zwischen Comic, Grafik und Kunst herzustellen. Was waren die Beweggründe für diese Idee?
J: Ausgangspunkt dieser Idee war der Comicmarkt in Deutschland Anfang des Neuen Jahrtausends. Aufgrund sinkender Verkaufszahlen schrumpfte das Angebot der bekannten Verlage mehr und mehr.
Vertraut wurde auf altbekanntes und bewährtes - aber dadurch oft auch langweiliges Material. Innovation, Experiment und Wagemut war damals in den Comicredaktionen selten auszumachen. Und das zu einer Zeit da sich der französische Markt durch neue Autoren und Inhalte gerade seine Starre überwunden hatte und eine ganze neue, aufregende Generation an Autoren hervorbrachte welche das Medium veränderten (z. B. die "L'Association" oder "Freon" um nur zwei zu nennen). Diese Entwicklung hatte zu der Zeit (ich spreche von der Situation um das Jahr 2000/2001 herum) leider keinerlei Wiederhall in der hiesigen Verlagslandschaft. Inzwischen hat sich das geändert und wir sind stolz dabei mitgewirkt zu haben.
SA: Ihr habt Euch bewusst für independent Comics entschieden, warum?
J: Nur dort findet die notwendige Innovation statt die ein Medium bereichert und erneuert. Dort finden sich die spannendsten Bücher und Stoffe. Wir hatten einfach kein Interesse Band 26 von einer endlos sich selbst repetierenden Serie zu verlegen. Wir wollen nur Bücher machen die wir selbst lieben.
SA: Mangas finde ich keine im Verlagsprogramm, warum?
J: Zumeist hängt das mit den Vorstellungen der asiatischen Lizenzgeber zusammen. Wir können einfach keine sehr hohen Auflagen bieten. Ich persönlich bin aber ein großer Freund der Mangas der frühen
70er Jahre. Meiner Meinung nach ein Höhepunkt der Comickultur in Japan. Die Bücher von Osama Tezuka oder Hirihito Tatsumi aus dieser Zeit sind wunderbare Beispiele für frühe Graphic-Novels.
SA: Wie findet Ihr- und an Hand welcher Kriterien wählt Ihr die Autoren aus die Ihr verlegt?
J: Die Zeichner und Verlagscommunity ist doch überschaubarer als man denkt. Auf den internationalen Festivals sichten wir Material, lernen Autoren und Verlegerkollegen aus anderen Ländern kennen. Die "Mundpropaganda" funktioniert hier ganz gut. Zudem bekommen wir natürlich regelmäßig Infos über Neuerscheinungen weltweit. Selten, aber auch das kommt vor, wendet sich ein Autor direkt an den Verlag und der Titel passt gut in unser Programm. Wichtig ist vor allem die Individualität der Zeichnungen gepaart mit einem guten Thema.
SA: In welchem Themen Spektrum bewegen sich die Bücher die der avant-verlag heraus gibt?
J: Das Spektrum ist recht vielfältig: Es reicht von Alben für Kinder ("Desmodus"), Comics die sich mit Judentum beschäftigen ("Die Katze des Rabbiners", "Der Jude von New York"), Comic-Reportagen ("Cargo"), historischen Stoffen ("Rampokan", Künstlerbiografien in Comics ("Olaf G.", "Pascin" - demnächst "Blotch") bis hin zu autobiografischen oder politischen Stoffen (z. B. "Aufzeichnungen für eine Kriegsgeschichte"). Wie gesagt es geht uns nicht um ein bestimmtes Spektrum, sondern darum dass jedes Werk für sich einen hohen Qualitätsanspruch erfüllt.
SA: Was wurde aus dem Magazin „Plaque“?
J: 2007 erschien die 2. Nummer - wiederum mit einer großartigen Auswahl an Comics und Interviews (Anke Feuchtenberger, Nicolas Mahler, David B., Ulli Lust etc.). Leider müssen wir feststellen, dass der Erfolg des Magazins in keinem rechten Verhältnis zu der intensiven Arbeit die ein solches Magazin in Buchform mit sich bringt steht. Wir wollen nicht ausschließen, dass es eine Fortsetzung geben wird, aber im Moment konzentrieren wir uns verstärkt auf Einzeltitel.
SA: Wie würdest Du die Deutsche Comic- Landschaft und Szene beurteilen, gemessen an Ihrem Grad der Kreativität, Produktivität, Vielfältigkeit, Innovation und nicht zuletzt den Stellenwert den Comics in der Deutschen Kulturlandschaft einnehmen?
J: Die deutsche Comic-Landschaft hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Eigenständige Autoren aus Deutschland werden inzwischen auch gerne im Ausland verlegt. Die mangelnde Comic-Historie hat vielleicht auch eine gute Seite, da sich hier wirklich großartige Talente selbständig entwickeln. Geringe Einkommensmöglichkeiten werden halt manchmal auch durch Kreativität wettgemacht. Vor 10 Jahren hätte man vielleicht 5 wirklich interessante deutsche Zeichner aus dem Stegreif nennen können. Heute gibt es derer sicherlich 20-30. Und die Szene wächst sowohl zahlenmäßig als auch qualitativ. Dazu gehört aber auch die Etablierung der Graphic-Novel als eigenständiges Comicsegment an dem wir seit Jahren mitarbeiten. Ein anderer Beleg ist sicherlich dass interessante Comics aus anderen Ländern inzwischen in relativ kurzer Zeit auch als deutschsprachige Ausgabe vorliegen. Die deutsche Comic-Szene wird dadurch moderner und wird unmittelbarer in die internationale Entwicklung eingebunden.
Der Stellenwert in der Kulturlandschaft ist sicherlich ausbaufähig. Aber andererseits muss man auch eine positive Entwicklung attestieren. Comic-Rezensionen in Tageszeitungen gehören schon fast zum Alltag! Das ist wirklich eine bemerkenswerte Entwicklung die sich hier vollzieht!
SA: Was macht für Dich persönlich die Faszination an handgezeichneten Bildergeschichten aus?
J: Ich bin seit meiner Kindheit von diesem Medium begeistert. Für mich stellt es die gelungene Mischung aus Literatur und Film dar. Dabei bieten Comics die Möglichkeit persönlichen Ausdrucks ohne die Maschinerie und das Budget einer Filmproduktion. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Besonders die autobiografischen Comics der letzten Jahre haben das Medium bereichert und ein gesellschaftspolitisches Werk wie z. B. "Persepolis" wäre wohl kaum außerhalb des Mediums Comic entstanden. Nach wie vor sind Comics eines der aufregendsten Medien unserer Zeit!
SA: Sind Comics eine Art von Sprache? Warum?
J: Über die Bildsprache der Comics wurden schon viele wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Es würde zu weit führen sich hier noch weiter zu äußern.
SA: Gibt es eine Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Verlagen oder ist es ein Konkurrenzkampf?
J: Sowohl als auch. Wir tauschen uns untereinander durchaus aus. Mit einigen Kollegen mehr als mit anderen. Insbesondere wenn es darum geht Autoren zu verlegen, welche auch bereits bei anderen Verlagen publiziert wurden, sprechen wir uns ab. Im Gegensatz zu anderen Ländern sehen wir die Konkurrenzsituation in Deutschland nicht so verbissen, sondern wissen, dass wir alle die gleichen Interessen teilen: Gute Comics in Deutschland zu promoten. Diese Aufgabe können wir zusammen besser meistern als gegeneinander. Ich glaube dies ist in Deutschland wesentlich ausgeprägter als in den Nachbarländern Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass der Markt für Graphic- Novels noch relativ klein ist.
SA: Sollten Comic- Bücher auch verstärkt im Buchhandel vertrieben werden?
J: Selbstverständlich. Wenn das Medium erwachsen werden will gehört es in die Buchläden. Ein Blick nach Frankreich zeigt wie selbstverständlich und wie erfolgreich Comics im Buchladen präsentiert werden. Insbesondere die literarisch interessanten Graphic-Novels sind im Buchladen besser aufgehoben als im Comicfachhandel. Wir hoffen dort neue Leser zu erreichen die den Weg in den Comicladen nicht finden.
SA: Kannst Du uns etwas über sie Autoren erzählen die der avant-verlag veröffentlicht:
J: Auf jeden einzelnen Autor ausführlich einzugehen würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Wir publizieren einige der international besten Autoren wie z. B. Igort, Gipi, Ben Katchor, Joann Sfar, David B., Winshluss, Lorenzo Mattotti, Carlos Sampayo, Mezzo & Pirus etc. Jedem der sich etwas ernsthafter für Comics interessiert werden diese Namen wohl ein Begriff sein.
Zusätzlich stellen wir dem hiesigen Publikum neue viel versprechende Autoren aus dem In- und Ausland vor. Um einige Namen hervor zu heben sind das: Ulli Lust, Ulrich Scheel, Thomas Gilke, Simon Schwartz, Manuele Fior, Kevin Huizenga, Gabriella Giandelli, Stefano Ricci, Tom Tirabosco, Lars Fiske & Steffen Kverneland.
SA: Welche Künstler haben Dich am meisten beeindruckt?
J: Sicherlich Gipi den ich für einen der besten derzeitigen Erzähler im europäischen Comic halte. Seine Geschichten packen mich schon mit den ersten Zeilen und ich kann seine Bücher nicht eher aus der Hand legen bis ich sie ausgelesen habe. Zudem ist er ein unglaublich sympathischer Mensch.
SA: Welcher Zeichenstil gefällt Dir persönlich am besten und warum?
J: Am wichtigsten ist für mich ein individueller Zeichenstil. Ein Stil der unverwechselbar dem jeweiligen Autor zuzuordnen ist und der gewissermaßen ein künstlerisches Extrakt seiner Persönlichkeit ist. Dabei müssen keine perfekten Zeichnungen entstehen - viel mehr stimmige, dem Thema entsprechende Darstellungen. Ein Beispiel ist z. B. Joann Sfar, der seine einzelnen Panels nie überbewertet, der Fehler stehen lassen kann und dessen gesamte Seite am Ende immer eine harmonische Einheit bildet. Nicht umsonst gibt es inzwischen eine ganze Generation junger französischer Künstler die von seinem Strich stark beeinflusst sind.
Bei großen Autoren wie Hugo Pratt, Gipi, David B., Ben Katchor wirken die einzelnen Panels nicht wie kleine Kunstwerke sondern sie stehen im Dienste der Erzählung und transportieren die Handlung optimal. Das ist für mich persönlich die hohe Schule der Comic-Kunst.
SA: Was können Comics in Ihrer Bildsprache transportieren was andre Formen der Kunst nicht können?
J: Dazu empfehle ich die Lektüre von Scott McClouds "Comics richtig lesen" bzw. "Understanding Comics". Die Möglichkeiten sind zu mannigfach um sie hier im Detail zu erörtern.
SA: Gibt es einen Verbindung zu anderen Kunstsparten?
J: Natürlich. Comics stehen im Dialog mit nahezu allen anderen Künsten. Augenscheinlich ist dabei vermutlich der Einfluss von Literatur und Film. Filmische Elemente bestimmen oftmals die dargestellten Szenen. Totale, Zoom etc. die ganze Bandbreite der Kameraführung lässt sich auch auf den Comic und seine Erzählsequenzen übertragen. Darüber hinaus gibt es aber auch Beispiele für andere Kunstsparten: Tanz, Theater, Videoclips, Malerei... Mit all diesen eigenständigen Künsten tritt das Medium Comic in Verbindung und in Austausch.
SA: Zukünftige Projekte des Verlags?
J: Neben der Publikation von Lizenzmaterial wird es verstärkt wichtig werden unsere Eigenproduktionen künftig auch als Lizenz im Ausland zu vermarkten. Des weiteren wollen wir uns verstärkt der Autorenpflege widmen.
SA: Die 5 besten Comic- Messen in Europa sind?
J: Ganz subjektiv meine Einschätzung:
Angouléme in Frankreich - da sich dort wirklich die ganze Branche trifft. Dort lernt man Verleger und Autoren gleichermaßen kennen und tauscht sich aus. Hier wird ein Großteil der Geschäfte abgewickelt.
Comic-Salon Erlangen - die wichtigste Verkaufsmesse und das traditionell größte deutsche Festival. Vor allem wegen der jedes Mal wieder tollen Ausstellungen lohnt sich ein Besuch allemal. Der Salon findet alle zwei Jahre statt und wir freuen uns schon auf 2010!
Alternierend zum Comic-Salon etabliert sich das Comicfest München in Deutschland. Etwas kleiner und übersichtlicher als in Erlangen wird es aber von mal zu mal besser und findet dieses Jahr im Juni statt.
Comic Con Neapel. Das mittelalterliche Castello über der Stadt beherbergt dieses Comicfestival. Die Atmosphäre ist ausgesprochen sympathisch und der Blick über die Bucht von Neapel und den Vesuv atemberaubend. Allein wegen dieser Location lohnt sich ein Besuch!
Fumetto im Schweizer Luzern. Das alljährlich stattfindende Festival beschreitet einen ganzen eigenen Weg. Hier stehen nicht der Kommerz sondern die Künstler und ihre Arbeiten im Mittelpunkt. Keine Comic- Börse - stattdessen über die Stadt verteilt zahlreiche Ausstellungen. Erfreulich beschaulich und familiär hat sich hier eines der beliebtesten Festivals etabliert. Nächster Termin: 28.3.-05.04.09
SA: Irgend etwas dass den Du SuccoAcido- Lesern zum Schluss gerne sagen möchtest?
J: Wir sollten uns auch bewusst machen dass die so genannte Graphic- Novel keine Erfindung der letzten Jahre ist, sondern schon im vorletzten Jahrhundert durch die Arbeiten von Rodolphe Töpffer historisch belegt ist. Dabei denke ich aber nicht an einen Begriff der sich auf Umfang oder Ausstattung eines Comicbuches bezieht. Vielmehr möchte ich den Begriff Graphic Novel als Bezeichnung für eine Bewegung verstehen. Überall auf der Welt sitzen Autoren an ihren Tischen und hämmern auf ihre Tastaturen und/oder zeichnen neue Geschichten. Geschichten die heutzutage eine enorme Bandbreite an Themen behandeln. Es gibt für jeden Geschmack mittlerweile eine Anzahl an Graphic-Novels. Geschichten die ein Leben verändern können.
Es gibt viel zu entdecken.
Viel Spaß dabei!